EIN BIOGRAFISCHES MEISTERWERK MIT KLEINEN SCHWÄCHEN IN DER AUSFÜHRUNG
Wir haben uns sehr darauf gefreut Tina – Das Musical endlich zu sehen. Als es dann am 28.06.2019 so weit war, hatten wir gehofft Nyassa Alberta in der Rolle der „Tina“ sehen zu können. Das Interview, dass wir mit ihr geführt haben und das Takeover unseres Instagram Kanals hatten uns auf ihre Interpretation der Rolle sehr neugierig gemacht. (-> hier könnt ihr das Interview nochmal lesen)
Stattdessen durften wir an dem Abend Kristina Love als „Tina Turner“ sehen. Da man ihr ja nachsagt, besonders nah an „die echte Tina“ heran zu kommen, waren wir sehr gespannt.
Zu allererst fiel uns extrem positiv auf, dass der Saal an dem Abend nahezu ausverkauft zu sein schien. Was mittlerweile bei den Eintrittspreisen und in anderen Stücken leider eine Seltenheit ist. Das Publikum war durchschnittlich älter als wir, vermutlich zieht die Story nicht unbedingt die jüngeren Zuschauer an. Die Stimmung war großartig!
Die Handlung selbst ist ziemlich harter Tobak. Das Thema Gewalt und Misshandlung zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von „Anna Mae Bullock“ aka „Tina Turner“.
Direkt die erste Szene hat uns komplett umgehauen! „Tina Turner“ sitzt hinter der Bühne und meditiert, bevor sie vor tausenden von tobenden Zuschauern auftritt. Ein wahrer Gänsehautmoment, der sich noch häufiger einstellen sollte.
Weiter ging es nahtlos mit einer Rückblende in „Anna Mae’s“ Kindheit, wo ihre Geschichte begann. Die Zuschauer werden Zeugen davon, wie der gewalttätige Vater die Familie beherrscht und die Mutter diesen Zustand nicht länger aushält. Sie verlässt mit ihrer älteren Tochter „Alline“ die Familie und lässt „Anna Mae“ bei ihrem Vater zurück. Diese wird weiter von ihrer Großmutter aufgezogen, zu der sie eine tiefe Bindung entwickelt. Als sie als Jugendliche die Chance bekommt, zu ihrer Mutter und Schwester in die Großstadt nach Missouri zu ziehen, ergreift sie diese. An dieser Stelle ist wohl kaum ein Auge trocken geblieben. Kristina Love und Denise Obedekah als „Gran Georgeanna“ haben so gefühlvoll gesungen, dass man den Trennungsschmerz so sehr mitfühlen konnte. Ganz großartig und emotional!
Die Geschichte nimmt dann ihren Lauf, „Anna Mae“ wird von dem berühmten Sänger „Ike Turner“ als Sängerin entdeckt, heiratet ihn, bekommt Kinder und wiederholt leider vieles aus dem Leben ihrer Mutter. Denn auch die mittlerweile „Tina Turner“ genannte Frau wird von ihrem Mann geschlagen und unter Druck gesetzt. Gemeinsam sind sie als „Ike and Tina Turner Revue“ unterwegs.
Zum Ende des ersten Aktes verliert das Stück ein wenig an Schwung. Das nicht, weil wir eine durchgehende Party erwartet hatten. Nein, eher weil eben viele Szenen nötig sind um die Geschichte komplett zu erzählen und es so ein bisschen langwierig wird.
Im zweiten Akt erfährt man viel über den Mensch „Anna Mae“. Sie erträgt den körperlichen Missbrauch, leidet immer mehr unter „Ikes“ Eskapaden und versucht sogar sich das Leben zu nehmen.
„Tina“ findet irgendwann den Mut „Ike“ zu verlassen und findet Kraft in der Spiritualität. Leider ist sie alleine in der Musikbranche nicht sehr erfolgreich und macht eine harte Zeit mit floppenden Alben durch.
Erst als sie zu „Roger Davies“ nach London geht wendet sich das Blatt wieder. Sie bringt das absolut erfolgreiche Album >Private Dancer< raus. Auch privat geht es Bergauf, denn hier lernt sie „Erwin Bach“ kennen, der später ihr Manager und Ehemann wird.
Das Happy End scheint erreicht, als „Tina“ auf gefeierte Welttournee geht und sich diese wahnsinnige Stimmung im gesamten Saal ergießt!
Das Bühnenbild war relativ minimalistisch gehalten. Es bestand aus einer Videowall einer Drehscheibe in der Mitte der Bühne und verschiedenen Bühnenelementen, die die unterschiedlichen Orte der Story wunderbar widerspiegelten.
Die Videowall wurde großartig eingesetzt und entweder zum Feld in Nutbush oder zum Highway auf dem „Tina Turner“ vor ihrem gewalttätigen Ehemann in ein Motel flüchtete. Zwischendurch war uns das Drumherum etwas zu sehr „im Drogenrausch“ versunken und die eigentlich richtig starke Videowall wurde zu einem wabernden, etwas nervigen 70er Jahre Farbenspiel.
Ansonsten wurden alle Bühnenelemente großartig eingesetzt und weniger war definitiv mehr! So wurde man nicht von pompösen Aufbauten abgelenkt!
Die Kostüme waren alle passend zu den jeweiligen Jahren der Handlung und waren teils sehr aufwändig, teils einfach gehalten.
„Tina“ muss oft und zum Teil sehr schnell und sogar auf der Bühne ihre Kostüme und Perücke wechseln.
Ein kleiner Kritikpunkt an dieser Stelle ist, dass die Kostüme manchmal nicht so richtig zu passen schienen, oder die Quickchanges doch zu „quick“ gehen mussten, denn hier und da blitzte ungewollt KristinasUnterwäsche hervor und das war irgendwie irritierend. Auch ein Perückenwechsel auf der Bühne ging in unserer Vorstellung nicht ganz glatt, aber das ist eben Live-Entertainment und das macht es doch irgendwie auch aus.
Die Besetzung ist einfach grandios! Was wir an dieser Stelle schon sagen können, stimmlich waren einfach alle Darsteller überragend!
Kristina Love bewegt sich nicht nur ähnlich wie Tina, ihre Stimme scheint ein Abbild zu sein. Sie vergisst aber zu keiner Zeit ihre eigene Persönlichkeit und imitiert „TinaTurner“ nicht einfach. Mit jedem Ton berührt sie den Nerv der Zuschauer und brilliert mit leisen Tönen genauso, wie mit ihrer „Röhre“. Die Reise des jungen Mädchens aus der Kleinstadt über die gedemütigte und misshandelte Tochter und Ehefrau bis zur gestandenen Frau und erfolgreichen Künstlerin am Ende nimmt man Kristina zu 100% ab.
Dinipiri Etebu hatte an dem Abend seine erste „Ike Turner“ Show und wirkte noch etwas unsicher. Wie wir erfahren haben, hatte er lediglich zwei Wochen Zeit um sich die Rolle anzueignen. Davor ziehen wir unseren Hut und haben vollsten Respekt! Und dafür hat er seinen Job wirklich toll gemacht.
Simon Mehlich als „Erwin Bach“ überzeugte mit originalgetreuem rheinländischen Akzent und dem dadurch ganz besonderen Charme, der die Rolle ausmacht.
Philipp Nowicki war an dem Abend „leider“ nur in der kleinen Rolle als „John Carpenter“ auf der Bühne. Da wir ein Interview mit ihm geführt hatten (Link zum Interview ) und sehr neugierig waren, hätten wir uns für den Abend gewünscht, noch mehr von ihm zu sehen.
Bei der Besetzung von „Raymond Craig“ und „Ronnie Turner“ (Tinas Söhne) waren wir ziemlich irritiert, denn es standen erwachsene Männer auf der Bühne, die auf dem Bauch liegend mit Autos spielten. Irgendwie eine merkwürdige Szenerie. Zumal zu Beginn und zum Ende des Stücks auch Kinder/Jugendliche auf der Bühne standen, wäre hier vielleicht die Besetzung, dem Alter der Söhne entsprechend, vorteilhafter gewesen.
Das Highlight der Show ist sicherlich das Finale! Schon zu Anfang hält es keinen Zuschauer mehr in den Sitzen und die Stimmung ist grandios! Kristina Love rockt die Bühne – aufgemacht wie ein Konzert – mit den bekannten Hits >Nutbush City Limits< und >Proud Mary< so kraftvoll und energiegeladen, dass es einen einfach aus den Sesseln reißen muss!
Hier steht auch die Band auf der Bühne, die live alles gibt! Großartige Musiker!
Unser Fazit: Die Biografie von „Tina Turner“ wurde alles in allem gut in einem Musical erzählt. Und bis auf ein paar kleine Schwächen, wunderbar umgesetzt! Die Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne waren stimmlich allesamt grandios und alleine dafür hat sich die Reise nach Hamburg gelohnt.
Mit den Szenen, in denen Gewalt dargestellt wird, waren wir nicht ganz so glücklich. Teilweise wirkten sie sehr überzogen und unecht. Auf der einen Seite gut, denn zu realistische Darstellungen von Gewalt können bei vielen Menschen auch etwas auslösen, was man an so einem Abend nicht fühlen möchte. Andererseits gehört eben auch dieser Teil zu „Tinas“ Leben und so hätten wir auch diese Szenen gerne ein kleines bisschen realistischer erlebt.
Fans von Tina Turner kommen ganz sicher auf ihre Kosten! Und auch für Nicht-Insider wird es ein gelungener Abend!
Wir wurden gut unterhalten, unser Lieblingsmusical wird es jedoch nicht.
Viele Grüße!
Eure Judy und eure Ena